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Hallo zusammen,
ich habe das Forum in den letzten Tagen wirklich ausführlich durchstöbert und finde es toll, wie umfangreich hier geholfen wird.Jetzt habe ich auch ein Problem, vielleicht hat jemand von euch da schon eine Lösung, denn ich konnte dazu nichts genaues finden.
Ich versuche es mal zu erklären, muss aber dazu sagen, dass ich von Statistik noch nicht viel verstehe, versuche mir aber alles anzueignen.
Ich habe für unser Unternehmen nun alle Anweisungen und Formular zum Thema Qualifizierung und Validierung erstellt.
Jetzt machen wir für jede Maschine oder jeden Prozess eine FMEA und erhalten anhand dieser die „kritischen Parameter“, die wir dann im Zuge weiterer Tätigkeiten überprüfen müssen.
Bis dahin ist auch alles klar, jetzt geht es nur um die begründete Festlegung des Stichprobenumfangs. Wieviele Teile muss ich nun prüfen, damit ich beweisen kann, dass die Maschine oder der Prozess fähig ist, diese ich sage mal geprüften „Maße“ zuverlässig zu reproduzieren.
Ich kann mich leider nicht nach alten Validierungen richten, da diese eher dürftig sind, auch kann ich daraus keine brauchbaren gemessenen Daten ziehen. Ich gehe also davon aus, dass die Maschine noch nie validiert wurde. Fange also bei 0 an.
Ich kann mich erinnern, dass wir früher immer über den Daumen von 3 unterschiedlichen Chargen mit Beispielsweise 50 St. je Charge ausgegangen sind. Habe auch noch oft gelesen, dass viele das auch so noch machen, jedoch habe ich dabei immer das Problem, dass ich nicht erklären kann, wie ich auf diese Konstellation komme.
Wenn ich das stastisch begründen kann, bin ich natürlich ausm schneider. Ich habe auch schon einige Formeln, auch hier im Forum, dazu gesehen, jedoch fehlen mir sämtliche Daten, oder mir fehlt noch das nötige Wissen um diese richtig zu nutzen.
Alles in allem, ich suche eine Möglichkeit den Stichprobenumfang eines noch nicht validierten Prozesses oder einer Maschine zu ermitteln.
Ich hoffe ihr könnt mir helfen, oder mir zumindest einen Ansatz geben, nach dem ich gehen kann und natürlich hoffe ich, dass ihr mich halbwegs verstanden habt.
Vielen Dank für eure (vielleicht) Hilfe [:)]
DIBUGA – Effekt
Hallo Fury,
bitte entschuldige die Späte Antwort, ich hoffe, sie ist noch relevant für deine Frage:
Rinne / Mittag, „Prozessfähigkeitsmessung für die industrielle Praxis“ geben eine gute Anleitung zur Fähigkeitsbestimmung von Prozessen. Allgemein gehen sie von 50 Werten aus.
isbn 3-446-21117-9
gruß Rainaari
Hi Rainaari,
vielen Dank für die Hilfe.Ja die Frage ist nach wie vor relevant.
Das Buch hört sich gut an, nur leider gibts das nirgends mehr zu kaufen oder als EBook. Kannst du mir da einen Tipp geben?
Ich habe mich jetzt auch ausführlicher mit dem Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt und habe die Bayes Theorem gefunden.
Diese würde sagen:
Bei einer Zuverlässigkeit und einem Vertrauensniveau von 95% müsste ich eine Stichprobenmenge von 59 St. nehmen, um eine aussagekräftige Auswertung über meinen Prozess zu erhalten. Diese Annahme von 59 St. gilt aber scheinbar nur für attributive Prüfungen, kann ich das auch für messende Prüfungen anwenden?
Ich weiß, dass es keine allumfassende Formel gibt, da man eigentlich jeden Prozess einzeln betrachten muss, hier fehlt mir aber die Idee, das Risiko was mit einem bestimmten Fertigungsprozess einhergeht, dann in eine Zahl umzuwandeln, welche uns statistisch beweisen kann, dass der Prozess fähig ist.
gruß fury
DIBUGA – Effekt
Hallo fury,
Deine Frage braucht eine etwas längere Antwort, deshalb hat es auch einige Zeit gedauert:
Prozessfähigkeit: Bewertung der Prozess-Streuung und -Lage im Verhältnis zur Spezifikation
Notwendige Anzahl Messwerte
normalverteilte Messwerte: 100
andere Verteilung: 150
keine Verteilung/nichtparametrisch/verteilungsfrei: >500 (mindestens, kommt auf die Kritikalität und die Anforderungen an das Vertrauensniveau an)Quellen:
ISO 22514-1:2014. Statistical methods in process management – Capability and performance – Part 1: General principles and concepts.
International Organization for Standardization (ISO)
ISO/TR 22514-4:2007. Statistical methods in process management – Capability and performance – Part 4: Process capability estimates and performance measures.
International Organization for Standardization (ISO)Rinne/Mittag „Prozessfähigkeitsmessung für die industrielle Praxis“ (ISBN 9783446211179) ist ein nettes Buch, nur leider ungeeignet für die Festlegung des Stichprobenumfangs zur Absicherung, weil es in dem Buch keine Begründungen für die Mindestanzahl gibt. Zudem werden Methoden wie beispielsweise die Pearson-Methode oder andere Transformationsmethoden heute kritisch gesehen und als potentiell unzuverlässig eingestuft (s. z. B. ISO 22514-4).
Falls Du oder jemand anderes ein Buch finden willst, das nicht mehr im Handel erhältlich ist, lohnt sich eine Suche in den Katalogen der Bibliotheken, z. B. über den Karlsruher Virtueller Katalog, der für Deutschland 9 Treffer zu dem Prozessfähigkeitsbuch von Rinne und Mittag liefert.
Nachweisführung: Nachweis, dass ausreichend viele Prozess-Ergebnisse innerhalb der Spezifikation liegen
Notwendige Anzahl Messwerte wird durch Prozesskennzahlen ermittelt. Es gibt keine Absicherung mit immer derselben Mindestanzahl Messwerte, da hierbei die Kritikalität des Merkmals und die technischen Gegebenheiten berücksichtigt werden.
Bei einem nicht-kritischen Merkmal, das sehr einfach innerhalb der Spezifikation gehalten werden kann, ist der Stichprobenumfang deutlich niedriger als bei einem extrem kritischen Merkmal am Rand der technischen Machbarkeit. Da die Statistik bzw. die Formeln nicht wissen können, wie kritisch das Merkmal und die technische Machbarkeit sind, gibt es auch kein one-size-fits-all-Stichprobenumfang, mit der jeder beliebige Prozess abgesichert werden kann.
Die „magische“ 59
In einigen Veröffentlichungen wird ein allgemeiner Stichprobenumfang von n=59 Messwerten angegeben. Diese Zahl berechnet sich nach den Methoden des so genannten „Success Run“-Tests (s. Quelle) mit der Formel
n >= ln(alpha)/ln(1-P)
n: Stichprobenumfang
ln: natürlicher Logarithmus
alpha: Risiko für Fehler 1. Art (Fehlalarm), d. h. 1-alpha Vertrauensniveau
1-P: Zuverlässigkeit des Bauteilsmit alpha=5% und 1-P=95% ergibt sich
n >= 58.40397
d. h. aufgerundet auf die nächstgrößere ganze Zahl: n=59Ob ein Risiko von 5% für einen Fehlalarm (bzw. ein Vertrauensniveau von 95%) und vor allem eine Zuverlässigkeit von 95% für einen Prozess ausreicht, ist wiederum eine Frage der Kritikalität von Merkmal und Prozess. Ich fände z. B. diese Art des Tests für die „Absicherung“ der Zuverlässigkeit von Herzschrittmachern oder Bremssystemen diskussionswürdig.
Quelle:
VDA [2004] Zuverlässigkeitssicherung bei Automobilherstellern und Lieferanten. Teil 2. Zuverlässigkeits-Methoden und -Hilfsmittel.
Hrsg. von Verband der Automobilindustrie (VDA). 3. überarbeitete Auflage 2000, aktualisierter Nachdruck 2004. VDA QMC, ISSN 0943-9412Achtung: Die hier genannten Methoden zur Prozessfähigkeit und Nachweisführung gehen von 1 konstanten bzw. stabilen Prozess aus, d. h. hier dürfen keine (deutlichen) Chargen-Effekte oder andere Veränderungen (z. B. durch Werkzeuge, Wetter, Werker, Maschinen, Rohstoffe…) auftreten! Selbst wenn das punktuell erreichbar ist, kann as zu extrem starren Vorgaben bei den Prozess-Einstellungen führen und damit zu einer sehr niedrigen Flexibilität bei moderaten Prozess-Veränderungen (was schon daran liegt, dass nicht untersucht wird, wie viel „moderat“ ist).
Andere Nachweis-Methoden
Ziele:
1. Nachweis, dass Messwerte Anforderungen erfüllen
2. Größtmöglicher Prozessbereich, in dem der Prozess sichere Ergebnisse liefertPunkt 1. geht mit den oben beschriebenen Methoden, wenn der Prozess stabil ist. Punkt 2. bleibt bei den o. g. Methoden unberücksichtigt.
Bei dieser Nachweis-Methodik werden (wie bei Euch) zunächst die kritischen Merkmale ermittelt, z. B. über eine FMEA, ein Fischgräten-Diagramm oder scharfes Nachdenken. Anschließend werden Testbereiche für die Merkmale festgelegt und für diese Testbereiche ein Testplan (statistischer Versuchsplan, Design of Experiments, DoE) erstellt. Je nach Art und Anzahl der Merkmale gibt es hier unterschiedlich viele Versuche (wenig Merkmale = tendenziell weniger Versuche).
Nach Durchführung der Versuche wird geprüft, in welchen Prozess-Einstellungen der Prozess ausreichend sichere Ergebnisse liefert. Damit sind dann beide Punkte beantwortet, d. h. es ist der Nachweis erbracht UND es gibt ein klar definiertes, sicheres Prozess-Fenster. Zusätzlich liefern die Versuche eine Grundlage für die Auswahl von Merkmalen zur Prozess-Überwachung.
Weitere Infos dazu: Im Pharmabereich wird das unter dem Stichwort „QbD – Quality by Design“ bzw. Ermittlung des Design Spaces gemacht, s. z. B.
Integrating Quality by Design (Qbd) in Medical Device Manufacturing – Concept, Benefits and Challenging
Quality by Design in der HPLC (deutsch)
The QbD Column: Overview of Quality by DesignViel Erfolg bei der Umsetzung [8D]
Barbara
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Eine gute wissenschaftliche Theorie sollte einer Bardame erklärbar sein.
(Ernest Rutherford, Physiker)Hi Barbara,
ich habe so gehofft, dass du noch etwas dazu sagen kannst, da ich immer schaue was du so schreibst und ich es immer mit einer Begeisterung aufsauge.Ich danke dir vielmals für deine ausführliche Anwort. Endlich eine konkrete, ausführliche, nachvollziehbare und sehr hilfreiche Antwort.
Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?
Lg
furyDIBUGA – Effekt
Hallo fury,
freut mich sehr, dass Dir die Infos weitergeholfen haben.
Behalt die Statistik einfach in guter Erinnerung [:)]
Viele Grüße
Barbara
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Eine gute wissenschaftliche Theorie sollte einer Bardame erklärbar sein.
(Ernest Rutherford, Physiker) -
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