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Hallo alle Zusammen,
bin neu hier und das ist meine aller erste Frage, die mich seit Tagen quellt.
Wir wollen an Kohlenstofffaser den Garnabrieb/Flusigkeit testen, halt wissen, wie stark das Garn beim Verarbeiten wie zBsp. beim Weben flust. Es ist also eine zerstörende Prüfung!! Dafür bauen wir uns eine eigene neue Prüfmaschine (noch nicht fertig!), welche die Messung der Flusigkeit übernimmt. Die neue Prüfmaschine ist quasi die Vergrößerung der alten, wir haben bereits Erfahrungen mit dem Garnabrieb.Der Garnabrieb ist eine nach oben beschränkte Größe, je weniger Flusen beim Verarbeiten entstehen, desto besser.
Diese Prüfmaschine, wenn sie fertig ist, soll
a) freigegeben
b) mit der alten Prüfmaschine verglichen und
c) GR&R gemacht werden.Zu der ersten Frage/Aufgabe a) fällt mit im Moment nichts ein. Nach PMF Verfahren 1 wird ein Normal gebraucht. Da es eine zerstörende Prüfung ist, gibt es kein Normal. Dazu haben wir verschiedene Garntypen, an wievielen Typen muss man dies machen? Wie soll man an diese Aufgabe rangehen?
Die geschachtelte GR&R ist mit geläufig, ich denke, damit komme ich zurecht.
Schöne an alle Leser und vielen Dank schon mal für Eure Mühe.
Hallo Julia,
herzlich willkommen im Qualitäter-Forum :)
Ich hab da mal ein paar Fragen zurück:
Wie habt Ihr denn bei der alten Prüfmaschine festgestellt, dass die Euch sinnvolle Werte auswirft? Nach welchen Kriterien wurde die alte Prüfmaschine freigegeben?Ist „Flusigkeit“ irgendwo exakt definiert (z. B. nach Test <1mg Flusen oder maximale Flusengröße <0,2mm)? Wie viele verschiedene Garntypen sollen denn insgesamt bewertet werden? Ist Flusigkeit bei einem Garnabschnitt eine halbwegs stabile Größe oder gibt es sehr große Unterschiede zwischen dem ersten und fünften Meter (z. B.)? Könnt Ihr Garne mit verschiedener Flusigkeit herstellen / bekommen?
Viele Grüße
Barbara
PS: Kann es sein, dass wir uns bei der Control 2011 über etwas Ähnliches unterhalten haben?
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Eine gute wissenschaftliche Theorie sollte einer Bardame erklärbar sein.
(Ernest Rutherford, Physiker)Hallo Barbara,
Danke schon mal, dass Du für mich die Zeit geopfert hast.
Zu deiner ersten Frage: Ich habe mich natürlich mit der Frage auch beschäftigt, leider erfolglos. Die alte Prüfmaschine haben wir seit über 35 Jahren im Einsatz, von den jetzigen Verantwortlichen weis keiner ob es eine Freigabe dafür gegeben hat bzw. ist nichts zu finden.
Der Flusen-Test war lange Zeit für die Qualität nicht wirklich relevant, halt nur intern zur Info. Erst jetzt wird es ernst, wo die Marktanforderungen ans Produkt immer steigen. Habe mich im Betrieb nach Freigabe für die Prüfmaschinen für die Zugfestigkeit ungeschaut (auch zerstörende Prüfung). Ist auch schonJahre her, dort hat man eine Spule aus einer Charge genommen und die jeweils 60mal mit einer bereits vorhandenen bzw. mit der zu ersetzenden und mit der neuen Maschine geprüft.Anschließend hat man beide Messreihen mit dem t-Test mit einander verglichen und basta. Ob das jetzt ein t-Test für gepaarte, mit eine Vorgabe oder für zwei Stichproben war, kann ich nicht nachvollziehen. Auch die Festlegung des erforderlichen Stichprobenumfangs ist mir unklar. Man hat wohl für alles immer 60 Proben genommen.2. Frage: die Flusigkeit wird im Gewicht pro bestimmte Länge angegeben, in µg/foot um genau zu sein, ist also einseitig nach oben beschränkt, nicht normal- eher lognormal verteilt.
Das mit verschiedenen Garntypen ist auch so ne Frage, wir haben 9 verschiedenen Typen deren Flusigkeit aus Vergangenheit bereits bekannt ist. Die Streuung ist bei allen Typen unterschiedlich, liegt zw. 50% und 120%. An insgesamt wievielen Typen wir die Prüfmaschine Testen müssen/wollen/sollen ist auch nicht bekannt. Ich denke mal, an einer oder max. zwei Typen, deren Streuung am niedrigsten/stabilsten ist.
Ich haben mir überlegt, dass wir einen Vergleichstest mit einer Vorgabe machen können. Bei MSA Verfahren 1. wird ein Normal gegraucht, den wir ja nicht haben. Nach meinen Recherchen ist es ok, bei zerstörenden Prüfung möglichst ähnliche Prüflinge aus einer Charge zu nehemen und die als Normal betrachten. Dann kann ich doch die Spule n-mal an der alten Prüfmaschine messen, diese Messreihe als Vorgabe berachten und mit der 2. Messreihen gemessen an der neuen Prüfmaschine, vergleichen.
Würde so was gehen bzw. als Tauglichkeitnachweis ausreichen?PS: ich war noch nie bei Control 2011, weis auch nicht was das ist.
Vielen Dank und schöne Grüße
Julia
Hallo Julia,
wenn es noch keine Definition dafür gibt, wie gut Flusigkeit (oder andere Merkmale) aufgenommen werden sollen/müssen würd ich mich mal mit allen Prozess-Beteiligten (Fertigung, Planung, Entwicklung, Marketing, Einkauf, Vertrieb, ggf. Management) zusammensetzen und überlegen, was die Anforderungen (intern & extern) an ein bestimmtes Merkmal sind und an Hand einiger Messdaten die Anforderungen mit dem Können der Prüfmaschine vergleichen.
Vermutlich wird dabei herauskommen, dass die Anforderungen weitaus höher als die technischen Möglichkeiten der Prüfmaschine sind. Dann könnt Ihr alle zusammen überlegen, ob die Anforderungen reduziert werden können oder ob die Prüfmaschine (zumindest schon mal theoretisch) optimiert werden muss.
Wenn sich alle darüber einig sind, nach welchen Kriterien bei Euch geprüft und bewertet wird, hast Du damit auch direkt eine Checkliste für die Freigabe.
Beim Verfahren 1 wird (zumindest in der allereinfachsten Variante) einfach 1 „Normal“ oder für die zerstörende Prüfung eine Charge mit geringstmöglicher Variation verwendet, um eine möglichst gute Aussage zu der Wiederholbarkeit zu bekommen. Ohne Normal oder Referenzwert kannst Du nie feststellen, ob Du den wahren Wert mit den Messungen triffst oder ob Du eine systematische Abweichung (Bias) hast. Du kannst aber über die Wiederholmessungen die Wiederholstreuung sehen. (Als „Referenzwert“ kann der Mittelwert verwendet werden, nur hast Du damit eben keine Informationen über einen möglichen systematische Versatz.)
Diese einfachste Variante für Verfahren 1 (auch Typ 1, Studie 1) ist allerdings ziemlich wackelig, weil Du nur für 1 Materialsorte prüfst wie die Wiederholbarkeit aussieht. Deshalb gibt es auch die Forderung, 2, 3 oder mehr Normale wiederholt zu prüfen. Mehr Infos dazu findest Du z. B. im VDA Band 5.2, 2. Auflage (gibts u. a. bei TÜV-Buch und VDA Webshop) oder unter dem Stichwort Linearitätsstudie bei Tante g00gle.
Ich würd auf jeden Fall empfehlen, mehr als nur 1-2 Materialtypen zu testen (und vor allem nicht nur die guten), um einen echten Eindruck von der Zuverlässigkeit der Werte über den gesamten Einsatzbereich der Prüfmaschine zu haben. Wenn es nicht alle Sorten sein sollen, würd ich eine Auswahl treffen, z. B. 1 Sorte mit kleiner Streuung, 1 Sorte mit mittlerer Streuung und 1 Sorte mit großer Streuung. Denn es nutzt Euch wenig, wenn die Prüfmaschine für „gute“ Sorten funktioniert und Ihr später feststellt, dass die „schlechteren“ Sorten viel zu ungenau gemessen werden, um mit den Werten die Qualität beurteilen zu können.
Bei der Frage wie viele Werte aufgenommen werden müssen, kannst Du entweder mit den Standardzahlen arbeiten (Verfahren 1: 25-50 Messdaten) oder über die Anforderungen an die Genauigkeit, mit der Du die Standardabweichung für Verfahren 1 bestimmen (schätzen) möchtest. Hast Du z. B. eine Standardabweichung von ca. 0,1µg/foot und möchtest das nochmal durch Wiederholmessungen prüfen und die dabei ermittelte Standardabweichung mit 95% Vertrauen in einem Intervall max. ±0,05µg/foot bestimmen, brauchst Du dafür 18 Messwerte. Ist die Standardabweichung mit ca. 0,5µg/foot deutlich größer, die Genauigkeit aber dieselbe (95% max. ±0,05µg/foot) erhöht sich der notwendige Stichprobenumfang auf 234.
Den Vergleich mit der alten Prüfmaschine kannst Du so machen wie Du es beschrieben hast, allerdings würde ich da vorher überlegen, nach welchen Kriterien Du die vergleichst. Mit einem t-Test würdest Du ja nur rausfinden, ob „Mittelwert auf Maschine alt“ = „Mittelwert auf Maschine neu“ ist. Und dann kommt vielleicht raus, dass es einen Unterschied gibt. Ohne Referenzwerte kann
A) die alte Maschine besser sein (näher am tatsächlichen Wert),
B) die neue Maschine besser sein,
C) beide Maschinen gleich weit weg vom wahren Wert sein oder auch
D) eine Verfälschung der Ergebnisse durch nicht-konstante Flusigkeit im Material auftreten.Und wenn beim t-Test rauskommt, dass es keine Unterschiede gibt, dann kann das auch sehr unterschiedliche Gründe haben:
A) Es gibt tatsächlich keinen echten Unterschied im Mittelwert zwischen alter und neuer Maschine.
B) Die Streuung in den Messdaten ist so hoch, dass der Unterschied mit den vorhandenen Messdaten nicht gefunden wird. (Auch hier wäre es sinnvoll mal in den notwendigen Stichprobenumfang / berechneten Stichprobenumfang zu schauen.)
C) Das Material auf der alten Maschine hatte trotz aller Sorgfalt eine andere Flusigkeit als das Material auf der neuen Maschine. Durch einen systematische Verzerrung bei einer oder beiden Maschinen ist dieser Unterschied in den Daten nicht zu finden.Ohne Ankerpunkt (Referenzwert) ist so ein t-Test ziemlich schwierig zu verwerten, weil der Nebel arg dicht ist. Ich würd mich deshalb eher auf die Streuung konzentrieren und prüfen, ob die Streuung auf der alten Maschine der Streuung auf der neuen Maschine entspricht (oder ob die neue – hoffentlich – eine kleinere Streuung hat).
Um das Risiko für Verfälschungen durch die Materialzuordnung möglichst klein zu halten, würd ich die ausgewählten Probestücke nummerieren und den beiden Maschinen zufällig zuordnen. Auf jeden Fall vermeiden würde ich, z. B. Probe 1-30 auf Maschine alt und Probe 31-60 auf Maschine neu zu testen.
Ich hoffe, das hilft Dir ein Stück weiter. Wär auf jeden Fall spannend zu lesen, wie Du weiter vorgegangen bist.
Viele Grüße
Barbara
PS: Die Control ist die größte deutsche Messe zum Qualitätsmanagement und ich hab da dieses Jahr mit jemandem über Garne und Mess-System-Bewertung gesprochen. Das war dann wohl eine andere Qualitäterin :)
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Eine gute wissenschaftliche Theorie sollte einer Bardame erklärbar sein.
(Ernest Rutherford, Physiker)Wenn es keine Standards gibt, dann definiert man seine selber und sagt zunächst:
Das ist das Maß der Dinge – so messen wir. Punkt.
Es gibt einige Normen, welche nach diesem Prinzip erschaffen wurden und heute den Stand der Technik darstellen.Der worst-case Ansatz hilft auch oft weiter bei der Validierung.
Wenn die Methode mehr Abrieb / Flusen produziert als die Nutzung ist dies begründbar.
Soviel zur Methodologie.Viele Grüße
QM-FK
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