Nachweis von Prozessbeherrschung, -stabilität und -fähigkeit2018-01-30T12:43:42+01:00

QM-Forum Foren Qualitätsmanagement Nachweis von Prozessbeherrschung, -stabilität und -fähigkeit

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  • John
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 1

    Hallo,

    ich beschäftige mich aktuell mit der Überprüfung eines Prozesses. Dazu habe ich in einer Stichprobenuntersuchung Daten aufgenommen um ein Merkmal zu überprüfen. Diese will ich nun auswerten.

    Nun geht es darum die Prozessfähigkeitskennwerte Cp und Cpk zu bestimmen. Dafür wird vorausgesetzt, dass es sich um einen stabilen und beherrschten Prozess handelt. Ich habe schon in einigen Fachbüchern und im Internet recherchiert, bin aber etwas verwirrt. (Nachweis über Normalverteilung wurde schon erbracht)

    Den Nachweis, ob ein Prozess fähig ist oder nicht, erbringe ich durch Berechnung der Fähigkeitskennwerte (wobei der kritische Wert die Lage zu den Toleranzgrenzen berücksichtigt).

    Ist es richtig, dass die Prozessstabilität anhand einer Qualitätsregelkarte unter Zuhilfenahme der 8 Regeln von Nelson beurteilt werden kann? Wobei die Grenzen das ein-, zwei- bzw. dreifache der geschätzten Standardabweichung sind.

    Und liege ich richtig in der Annahme, dass die Prozessbeherrschung ebenfalls anhand einer Qualitätsregelkarte beurteilt werden kann? Wobei die Grenzen in diesem Fall die definierten Toleranzgrenzen (bei 1mm Toleranz liegen die Toleranzgrenzen +/-0,5mm vom geforderten Mittelwert entfert) darstellen.

    Wäre super wenn jemand Licht ins dunkle bringen kann. Mir ist einfach nicht klar, wie ich die Stabilität und Beherrschung nachweisen kann.

    Vielen Dank im Voraus.

    Gruß
    Jonathan

    Barbara
    Senior Moderator
    Beitragsanzahl: 2766

    Hallo Jonathan,

    ein Prozess ist beherrscht oder stabil, wenn sein nächster Messwert bzw. sein nächstes Ergebnis vorhersehbar ist.

    Dafür muss er insbesondere über die Zeit zufällig streuen, d. h. keine Muster, Sprünge, Trends, Zyklen oder andere systematische Veränderungen zeigen.

    Geprüft wird das mit einem Zeitreihendiagramm oder einer Qualitätsregelkarte (=Zeitreihendiagramm mit weiteren Hilfslinien). Die Hilfslinien in der Qualitätsregelkarte sind Prozess-Streugrenzen und unabhängig von den Toleranzgrenzen.

    Ob und wie viele Regeln zum Erkennen von nicht-zufälligen Verläufen verwendet werden, ist nirgends festgelegt. Es ist sinnvoll bei den Regeln eine gute Auswahl zu treffen, um nicht zu viele Fehlalarme zu haben (wenn viele Regeln geprüft werden) und andererseits möglichst wenig zu übersehen. Letztlich hat jede Regel ihre Berechtigung, manche sind nur zuverlässiger in der Entdeckung von Strukturen als andere. Und jede Regel hat auch ihr Fehlalarm-Risiko, d. h. irgendwann bekommst Du auch bei einem absolut zufällig verlaufenden Prozess eine Regelverletzung angezeigt.

    Es gibt keine Regel, mit der Du nachweisen kannst, dass ein Prozess stabil ist. Am Ende ist es eine Einschätzung „wie Sie sehen, sehen Sie nichts“ kombiniert mit einem scharfen Blick auf die Zeitreihe oder Qualitätsregelkarte und der Feststellung, dass es stabil genug aussieht.

    Auf LinkedIn gab es vor einiger Zeit eine Diskussion dazu, welche Regeln am liebsten verwendet werden. Einer schrieb, er würde seinen Teilnehmern die 5-Sekunden-Regel beibringen: Schau 5 Sekunden auf die Grafik. Wenn Dir innerhalb der 5 Sekunden ein Muster auffällt, solltest Du weiter nachschauen.

    Viele Grüße
    Barbara

    QM-FK
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 469

    Hallo Barbara,

    um es noch komplizierter zu machen:

    Auch Prozesse, welche Trends oder Zyklen oder andere systematische Veränderungen zeigen, können als stabil betrachtet werden, solange man die „Trends“ sicher vorhersagen kann:

    Nicht jede Maschine hat eine Auto-Justierung. Bohr- und Fräsprozesse sind ein gutes Beispiel, wo durch Abnutzung die Werte stetig, aber vorhersehbar, „weglaufen“ und die Einrichtung nach einer bestimmten Zahl von Teilen dann manuell nachjustiert werden muss.

    Ansonsten: Vollste Zustimmung – insbesondere auch zur 5-Sekunden-Regel.

    Gruß von qm-fk.

    Barbara
    Senior Moderator
    Beitragsanzahl: 2766

    Hallo QM-FK,

    ein ganz klares Jein ;)

    Du hast natürlich Recht, dass die Statistik allgemein durchaus in der Lage ist (und auch davon ausgeht), dass es diverse verschiedene Einflüsse in jedem Prozess gibt und diese Einflüsse sich auch auf die Ergebnisse niederschlagen. Dafür ist u. a. das Design Space-Konzept der FDA gedacht. Alle Arten von Ursache-Wirkungs-Beziehungen (DoE, Regression, ANOVA usw.) nutzen die mathematische Beschreibung von Einflüssen. Auch bei Qualitätsregelkarten kann diese Wissen verwendet werden, wenn gezeigt werden kann, dass die Ergebnisse bis auf die Einflüsse nur zufällig streuen. (Wen das interessiert: Montgomery „Statistical Quality Control“, control charts for residuals.)

    Wo das NICHT funktioniert, ist bei Prozessfähigkeitswerten. Die brauchen Messwerte, die ohne deutliche Einflüsse einfach nur zufällig streuen. Es gibt bis heute keine wissenschaftliche Berechnungsmethode, mit der Einflüsse zuverlässig berücksichtigt werden können & die im Ergebnis einen Prozessfähigkeitwert ausgibt. (Also eine Methode, die nicht ppm-Werte simuliert und ein Prozessfähigkeits-Äquivalent angibt, sondern direkt unter Berücksichtigung der Einflüsse belastbare Prozessfähigkeitskennzahlen ausrechnet.)

    Vielmehr gilt für nicht-stabile Prozesse (=Prozessmodelle B, C, D nach 22514-2 bzw. der zurückgezogenen 21747) „The actual capability concept and the corresponding indices are only valid for a process under statistical control.“ (ISO 22514-1, p. 22).

    Viele Grüße

    Barbara

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