Erfahrung mit Audit in Taiwan2012-02-01T13:44:22+01:00

QM-Forum Foren Qualitätsmanagement Erfahrung mit Audit in Taiwan

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  • PJ
    Mitglied
    Beitragsanzahl: 8

    Hallo,

    bin schon längere Zeit interessierter Mitleser im Forum und habe mir auch schon vereinzelt Anregungen hier geholt. Für meine jetzige Problematik konnte ich allerdings im Archiv nichts finden und hoffe auf Eure Unterstützung.

    Hat jemand im Forum Erfahrung mit „Audits“ in Taiwan?

    Audit deswegen in Anführungszeichen, weil das Ganze auf eine Art langfristige Partnerschaft rauslaufen soll (gegenseitiger Zugriff auf Entwicklungs- und Produktionsleistungen). D.h. einerseits soll ich rausbekommen wo die Schwachstellen sind und Korrekturvorschläge erarbeiten, andererseits muß ich mich zurückhalten um dem zukünftigen Partner mit der in Asien bekanntlich schwierigen Kritikfähigkeit nicht vor den Kopf zu stossen. Wie sollen Maßnahmen ergriffen werden wenn die Probleme nicht angesprochen dürfen? Hat jemand Erfahrung mit dieser Konstellation und kann mir Tipps geben?

    Loretta
    Mitglied
    Beitragsanzahl: 724

    Arbeite 1/4 Jahr dort mit.


    Früher saßen Patrioten in der Regierung und Verbrecher im Gefängnis. Wie sich doch die Zeiten geändert haben

    QM-FK
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 469

    Hallo PJ,

    Das Thema ist hinreichend bekannt:
    In Taiwan (wie in einigen anderen asiatischen Ländern auch) sind die Systeme extrem hierarchisch aufgebaut. Die größte Sünde ist es, wenn man eine Bottom-Up Strategien gewohnt ist, Verbesserungen von unten nach oben anzuregen oder gar durchzusetzen.
    Daher immer „oben“ ansetzen, das heißt es gilt den Big-Boss zu überzeugen, dass Verbesserungen durchgeführt werden müssen.
    Eine Auditierung auf operativer Ebene ist verhältnismäßig einfach durchzuführen, wenn man diese im Sinne und im Auftrag der obersten Leitung durchführt.
    kleine Verbesserungen ausschließlich unter vier Augen mit den Betroffenen besprechen ohne Kritik zu üben. Ich gebe einmal ein konkretes Beispiel:
    Der Europäer fragt:
    „Gibt es die Risikoanalyse zu diesem Prozess sehen?“. Antwort des Taiwanesen: „Ja“.
    Keine weitere Reaktion.
    „Kann ich diese einmal sehen?“ Antwort des Taiwanesen: „Ja“. Keine weitere Reaktion.
    „Würden Sie mir diese bitte ein mal zeigen?“ Antwort des Taiwanesen: „Ja“. Keine weitere Reaktion.
    Danach hat sich herausgestellt, dass er keine hat. Die Antwort „ja“ bedeutet vielmehr, dass er gewillt ist, diese zu erstellen.
    zweites Beispiel:
    Streicht die Worte „Abweichung“, „Schwachstelle“ usw. die aus euer Vokabular und ersetzt diese durch Begriffe wie
    „Änderungswünsche“, „könnte ich bitte folgende Dokumente nachgereicht bekommen?“, “ ich hab das nicht verstanden, könnten Sie mir dies genauer beschreiben?“,
    „Ich bräuchte für meinen Boss noch folgende Beschreibung. könnten Sie mir dabei behilflich sein?“ usw usw

    Was letztlich zählt, ist das Ergebnis.

    Viele Grüße
    QM-FK

    Don’t think it – ink it.

    PJ
    Mitglied
    Beitragsanzahl: 8

    Hallo QM-FK,

    Deine Erläuterung geht genau in die Richtung Information die ich suche. Im Ansatz sind viele der Punkte die Du angesprochen hast bekannt, allerdings fehlt mir noch das letztendliche Gespür für die Feinheiten.

    Ein Beispiel: Die Vorgehensweise mit der ich in unserem Kulturkreis bei Lieferantenaudits die beste Erfahrung gemacht habe ist normalerweise eine ganz andere. Zuerst werden in einem Meeting mit den Verantwortlichen aus den jeweiligen Bereichen der Aufbau der für uns wichtigsten Prozesse geklärt. Im nächsten Schritt werden die Prozesse vor Ort (Produktion etc.) geprüft und zwar im Gespräch mit den Mitarbeitern die die jeweiligen Schritte täglich ausführen. Der oder die Führungskräfte die bei dem Rundgang dabei sind werden vorher freundlich gebeten sich mit Antworten eher zurückzuhalten und erst einzugreifen wenn der Mitarbeiter die Fragen nicht ausreichend beantworten kann. Dabei bekommen wir meist einen recht guten Eindruck wie die Prozesse im Endeffekt gelebt werden, welchen Wissensstand haben die Mitarbeiter, wie ist die Motivation usw.

    Natürlich geht das in Taiwan nicht, Hauptansprechpartner wäre z.B. der Produktionsleiter bei einem Rundgang durch die Produktion. Wäre es erlaubt vereinzelt einen Mitarbeiter an einem best. Produktionsschritt mit einer Frage anzusprechen, oder ist das ein NoGo. Ist evt. schon der Versuch dies vorher mit dem Produktionsleiter zu klären ein NoGo.

    Gruß
    PJ

    evereve99
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 1038

    Hallo PJ,

    hast du die Möglichkeit, irgendwo ein Seminar zum Thema interkulturelles Management zu besuchen?

    Denn, ohne diesbezüglich hier Erfahrung zu haben, kann ich mir eine Menge Fallstricke vorstellen…

    Gruß

    Evereve99

    „Hast Du die ganzen Ausrufezeichen bemerkt? Fünf? Ein sicheres Zeichen für jemanden, der seine Unterhose auf dem Kopf trägt.“
    – TERRY PRATCHETT, MUMMENSCHANZ

    QM-FK
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 469

    Hallo PJ,

    Evereve99 hat recht.

    Ideal wäre es, wenn man Rollenspiele mit Beurteilung durch einen Taiwanesen durchführen könnte.

    Viele Grüße
    QM-FK

    Don’t think it – ink it.

    qualyman
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 2072

    …..nur mal so nebenbei zum Thema Rollenspiel:

    Ein japanischer Kunde kam zum Audit zu uns nach Old Germany.
    Es war der Tag der närrischen Frauen: Altweiberfasching/-fastnach, schmutziger Donnerstag usw..
    Die beiden Auditoren betraten im Nadelstreifen und Schlipps den Empfang…und schwupps waren deren Schlipps ca 5/7 kürzer!
    Unser Direktor (Italiener) kam sofort herbei und versuchte mit der Entschuldigung: „Sorry, in Deutschland ist das Tradition“ die Gäste zu beruhigen.
    „Tradition? Den Gästen den Schlipps zu kürzen?“ fragten diese erstaunt und immer noch wie versteinert vor Schreck!

    Da kommt kein Rollenspiel mehr mit!

    „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“
    (Dietrich Bonhoeffer – evang. Theologe, 1906-1945)

    Gute Zeit!

    Qualyman – Qualitäter aus Überzeugung und Leidenschaft, auch wenn´s mal Leiden schafft!

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    QM-FK
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 469

    @PJ:

    General Manager informieren, Zweck erläutern und um Unterstützung bitten.
    Der informiert den Produktionsleiter.
    Der informiert die Mitarbeiter.
    Dem Produktionsleiter erklären, dass die Deutschen die Taiwanesische Kultur und Umgangsformen nicht kennen und daher Fehler machen. Sich im Voraus dafür entschuldigen.
    Alle Verbesserungsvorschläge als OFFENE (W-)FRAGEN formulieren. (Letzteres kommt sogar in unserem Kulturkreis gut an, aber wir vergessen dies oft im Eifer des Gefechts).
    Abweichungen sind im Grunde nichts anderes Änderungswünsche im Verfahren, im Verhalten, für mehr / effektivere Prüfungen usw.
    Aber nicht vergessen: Asiaten benutzen oft die „leisen Töne“, also sehr sensibel auf Einwände achten. Zarte Hinweis können auf Massive Probleme bei der Umsetzung hinweisen.

    Auch die Taiwanesen auf die vielen möglich interkulturellen Missverständnisse hinweisen und – nochmals – im Voraus für meine Fehler entschuldig und mein „schlechtes Verhalten“.
    Kooperationspartner müssen beide auf die andere Kultur zugehen …

    Ich komme gerade aus einer fremden Kultur (nicht Taiwan).
    Ich hatte erwähnt, dass ich meinen Boss durchaus schon einmal projektbezogen erwidert habe: „Convince me!“. Er erklärte mir, dass er bei dieser Frage sofort gefeuert würde, da diese Frage einem Affront gegen das System gleichkommt.
    Es gibt wohl tausende Beispiele von interkulturellen Fettnäpfchen …

    Ach ja: Sag niemals einen Taiwanesen, dass er Chinese ist. Bei allen Entschuldigungen im Voraus: Manchmal ist dies nicht wieder gut zu machen.

    Viele Grüße
    QM-FK

    Don’t think it – ink it.

    PJ
    Mitglied
    Beitragsanzahl: 8

    Hallo,

    wollte mich für die Ratschläge bedanken und ein kurzes Feedback geben.

    Glücklicherweise pflegt der Partner eine für asiatische Verhältnisse sehr offene Firmenkultur. Mit gesunden Menschenverstand, Interesse an der fremden Kultur sowie dem Partner entgegengebrachten und gezeigten Respekt (welches für mich auch die Kernaussage von QM-FK’s Beitrag ist)konnte man viel erreichen.

    In der Praxis muß man lernen wesentlich mehr und feinfühliger zu hinterfragen. Eine Prise dieser Feinfühligkeit ist etwas was uns Europäern im täglichen Umgang manchmal fehlt.

    Gruß
    PJ

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