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Hallo,
Kennt Ihr diesen Spagat? Auf der einen Seite muss das Produkt oder der Prozess viele Möglichkeiten bieten, auf der anderen Seite muss es/er einfach und zuverlässig funktionieren.
Ich kenne viele Beispiele, wo ein anderes Einstellen, die Entscheidung für andere (Entwurfs-) Alternativen eine deutliche Verbesserung brachten. In manchen Beispielen kann man zeigen, dass Eventualalternativen unnötig sind, da sie die Funktion nicht verbessern. In anderen Beispielen belegt man, dass die Entscheidung für eine billigere Alternative ohne Nachteile möglich ist.
Wie wichtig findet Ihr so etwas? Wie interessant wärn solche Ergebnisse für Eure Auftraggeber? Wer hätte davon einen Nutzen, wer nicht?
Danke und Gruss,
Michael++Hallo Michael++!
Schon die etwas längere Reaktionszeit auf dein Posting zeigt mir, das es nicht einfach ist, deine Frage zu beantworten.
Aus welcher Branche entstammt denn deine Fragenstellung.
Also bei uns (Automotive) gibt es vom Kunden ein sog. Lastenheft, dazu noch eine Qualitäts-Sicherungs-Vereinbarung QSV, evtl. Zeichnungen. Dann beschreibt der Hersteller/ Lieferant im Pflichtenheft wie er gedenkt, die Forderungen des Kunden umzusetzen.
Dann konstruiert man das Teil und baut es danach.
Da ist kein Platz für Schnörkeleien, Eventualitäten, Alternaiven usw.. Da wird sowieso nichts zusätzliches entworfen oder gebaut, was der Kunde nicht fordert!Wie ist das bei Euch? Wo siehst Du billigere Alternativen?
Gute Zeit!
Qualyman – Qualitäter aus Überzeugung und Leidenschaft, auch wenn´s mal Leiden schafft!
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Hallo qualyman,
Vielen Dank für Deine schnelle Antwort. Zu Deinen Fragen:
„Aus welcher Branche entstammt denn deine Fragenstellung.“
Das ist eher unerheblich, denn Freiheitsgrade gibt es immer. Entweder Gewollte oder Ungewollte. Man muss ein wenig den Blick dafür schärfen. Diese Frage begegnet einem prinzipiell in jeder Branche, solange man entscheiden kann und muss. Reden wir hier mal nur über Technik.„Dann konstruiert man das Teil und baut es danach.
Da ist kein Platz für Schnörkeleien, Eventualitäten, Alternaiven usw.. „
Im ersten Moment war ich geneigt, Dir zuzustimmen. Aber möglicherweise muss man etwas differenzierter gucken: Dein Auftraggeber hat mindestens die Entwurfsfreiheit. Er/Sie kann es so oder alternativ fordern. Auftraggeber und Konstrukteur zusammen wären dann das richtigere Betrachtungsfeld mit dem gemeinsamen Ziel, die gewünschte Funktion zuverlässig, billig und schnell zu realisieren. Das sicherte gemeinsam den Erfolg.Lieferst Du „nur“ eine Konstruktion ab, oder wird die bei Euch auch gefertigt? Im letzteren Fall habt Ihr möglicherweise auch wieder Zulieferer. Dann könnte man z.B. versuchen, dass deren Qualitätsschwankungen in der Funktion der Konstruktion möglichst wenig sichtbar werden. Das hätte Vorteile für alle Beteiligten.
„Wie ist das bei Euch? Wo siehst Du billigere Alternativen?“
Nun „bei uns“ denkt man auch eher nicht in diesen Möglichkeiten und Nutzen. Wo es billigere Alternativen gibt, läßt sich immer nur im Einzelfall ermitteln.Damit wir da konkreter werden können, schlage ich vor, wir betrachten ein unverfängliches Produkt aus Deinem Arbeitsbereich – diskret, versteht sich. Dann könnte ich zumindest die möglichen Ansatzpunkte versuchen aufzuzeigen. Wir können es auch etwas verfremden, wenn nur die wesentlichen Merkmale Deiner Leistungssituation erhalten bleiben.
Falls Du mit diesem Vorschlag einverstanden bist, wären ein paar Hintergrundinfos hilfreich. Z.B. was für eine Konstruktion ist das (oder könnte das sein), wofür wird das nachher eingesetzt, was lieferst Du/Ihr ab, fertigt Ihr auch, gibt es auf Deiner/Eurer Seite Zulieferer usw. Dinge halt, die mir weitere Randbedingungen klar machen und gleichzeitig ermöglichen, Eure Freiheitsgrade zu erahnen.
Ich sehe gerade: „Dann beschreibt der Hersteller/ Lieferant im Pflichtenheft wie er gedenkt, die Forderungen des Kunden umzusetzen. “ – wie er gedenkt, deutet das auf einen Freiheitsgrad hin? Auch, wenn man da üblicherweise nur genau 1 Alternative präsentiert, ist da nicht doch manchmal Raum für 2, 3 oder gar die allerbeste Alternative?
Auch Dir eine gute Zeit,
und Danke für’s Fragen.Gruss,
Michael++Servus,
im QS Bereich muß ich zusehen, daß unsere Werker für ihre Aufgabe geeignete Prüfmittel bekommen. Hier ist die Frage, ob ich wenige universelle Prüfmittel wie Mikrometerschrauben oder viele einfache Prüfmittel wie Lehrdorne einsetze. Zur Zeit tendiere ich hier sehr zur zweiten Variante, da dies Verfahren mir ohne viele Freiheitsgrade ein gut/schlecht Ergebnis liefert.
Der Nachteil vieler Freiheitsgrade in einem GxP kontrollierten Bereich ist, daß ich diese alle festschreiben und die Festschreibung überprüfuen muß, was die Verfahrensvalidierung sehr aufwendig macht.
So kann ich eine Anlage zur Abfüllung eines bestimmten Mediums mit einem Durchflussmesser gestalten, der u. U. aufwendig zu kalibrieren ist – oder einfach ein Gefäß mit einem bestimmten Volumen in den Prozeß nehmen und an einer Stelle die Füllmarkierung ablesen (Thermische Ausdehnung etc. ist im Prozeßdesign berücksichtigt).
mfg
Rainaari
(Medizintechnik)Hallo Rainaari,
Danke für Dein Beispiel. Ich möchte versuchen, meinen Punkt daran deutlicher zu machen. Für mich wirkt Dein Beispiel einfach genug und zeigt gleichzeitig, wie komplex das Ganze sehr schnell werden kann.
Ich lese da zwei unterschiedliche Freiheitsgrade heraus: beeinflussbare und unbeeinflussbare. Über die ersten kann und muss man entscheiden, mit den zweiten muss man irgendwie umgehen.
Beeinflussbar:
A Messmittel: universelles / viele einfache spezialisierte
B Messmethode: Beispiel Durchfluss / Beispiel FüllstandTendenziell unbeeinflussbar:
N Temperatur, z.B.: hoch / niedrig
O Operator und seine/ihre Tagesform, z.B.: fit / eingeschränkt
P weitere, z.B.: vergrößert Messwert / verkleinert MesswertZiel:
verlässlicher MesswertIn dieser Syntax wäre Deine konkrete Entscheidung z.B. (A2 B2), die sich am wenigsten durch die zufälligen Kombinationen der Unwägbarkeiten (N O P) beeindrucken läßt – oder bei GxP unter festgeschriebenen Bedingungen.
Mir sind bisher 2 Strategien begegnet, mit den unbeeinflussbaren Freiheitsgraden umzugehen; vielleicht gibt es ja weitere Strategien:
1. sie zu fixieren, z.B. durch definierte Messbedingungen
2. von ihnen weniger abhängig zu werden.Was jeweils für die Praxis tauglicher ist, sollte man meiner Meinung nach praktisch überprüfen. Die Antwort kann situationsabhängig unterschiedlich ausfallen.
Noch ein paar Gedanken zur Komplexität. Die stellt sich meistens von alleine ein. Im Beispiel hätten wir, mit Strategie 2, 4 Kombinationen von (A B) zu bewerten unter dem üblen Treiben der 8 Kombinationen der Unbeeinflussbaren (N O P). Noch mehr Alternativen und das Ganze wird sehr umfangreich.
Was macht man dann?
Danke und Gruss,
Michael++Hallo qualyman,
Vielen Dank für Deine schnelle Antwort. Zu Deinen Fragen:
…// gibt es da einen Trick mit den Steuerzeichen ?
Hallo Qualyman,
Vielleicht sieht man meinen Punkt an folgendem (realen) Beispiel besser.
Ein Druckerhersteller soll für einen Kunden einen neuen Drucker herstellen. Hitze spielt dabei eine Rolle, so dass eine Temperaturregelung inklusive Sensor eingebaut werden soll. Der Anlass für diese Idee ist die Sorge darum, die Temperatur auf ihrem erforderlichen Wert zu halten und so ein gutes Druckergebnis sicherzustellen.
Versuche ergeben nun neues Wissen: die Temperatur lässt sich in diesem konkreten Fall auch auf anderem Wege konstant genug halten! Und zwar ausschliesslich durch eine geschicktere Kombination der ohnehin zu entscheidenden Alternativen für weitere Entwurfsgrössen.
Die gesamte Temperaturregelung entfällt daraufhin, inklusive Sensor. Dieser abgesicherte Schritt spart Kosten, senkt später die Durchlaufzeit und stellt die erforderliche Temperatur-Qualität sicher.
Die Eventualalternative war in diesem Fall die Temperaturregelung. „Was machen wir denn, wenn die Temperatur des Heizstabes zu gross wird?“ Die bewährte Ingenieurspraxis „Feedback Kreise“ wurde durch neues am Produkt gewonnenes Wissen bereichert und dieses Neuwissen konsequent umgesetzt.
Im Ergebnis ist dieser Drucker, zumindest bzgl. Heiztemperatur, in Bauteilen gemessen weniger komplex geworden. Das Temperaturergebnis war in diesem Fall sogar noch besser, als mit der Regelung (was auch anders hätte ausgehen können).
Vielleicht ist es nun etwas klarer?
Dann würde ich gerne meine Anfangsfragen wiederholen:Wie wichtig findet Ihr so etwas? Wie interessant wären solche Ergebnisse für Eure Auftraggeber? Wer hätte davon einen Nutzen, wer nicht?
Danke und Gruss,
Michael++geändert von – Michael++ on 09/04/2009 10:25:42
Hallo Michael++!
Jetzt verstehe ich Deine Fragestellung besser.
Obwohl ich ja Q-ler bin, gehe ich davon aus, dass die EW-ler bei den Anfangsüberlegungungen schon einige Alternativen im Kopf haben und sich dann für die im Moment bessere Lösung entscheiden.Hierzu fällt mir noch aus meiner langen Vegangenheit was ein:
Ein Zulieferer entwickelt und baut ein Fahrwerksteil für ein neues Fahrzeug. Das Ganze wird erprobt, vom Autohersteller freigegeben und verbaut. Die neue Serie läuft an. Wird von der Autopresse, besser Autozeitschriften, als TOP-Auto bewertet und bekommt 5 Sterne im Crash-Test!
Nach einem halben Jahr kommt dann der Autohersteller und fragt beim Lieferanten an: „könnt ihr das Teil billiger machen?“ „Klar können wir, aber da können verschiedene Funktionen evtl. nicht mehr so sicher gewährleistet werden, der Crash-Test fällt u.U. auch nicht mehr so gut aus!“, so der Lieferant.
Antwort Autohersteller: „macht nix, Hauptsache wir haben die Savings!“Ich hoffe, das sind nicht die von Dir beschriebene „Eventualalternative“!
Gute Zeit!
Qualyman – Qualitäter aus Überzeugung und Leidenschaft, auch wenn´s mal Leiden schafft!
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Hallo Qualyman,
Vielen Dank. Nein, an so eine Eventualalternative habe ich nicht gedacht. Ich weiss wohl, dass Kosten(ver)senker auf solche Ideen kommen.
Beide Beteiligte haben auf Ihre Weise Recht:
* die Sparer, denn es soll billiger werden, auf Kosten der Funktion
* die Ingenieure, denn mit dem System können Sie die Funktion nur zu gewissen Kosten sicherstellen.Beides geht nicht, man kriegt nur das Eine ODER das Andere.
Gefragt ist also etwas anderes: eine Innovation, d.h. eine Leistungssteigerung. Die TRIZniks nennen so eine Situation einen physikalischen Konflikt einer Systemkomponente:
* auf der einen Seite fordert man Eigenschaft X
* aus gutem Grund muss man aber auch ihr Gegenteil fordern nicht-X.Das konfliktbehaftete System, z.B. das Fahrwerksteil, kann so nicht bleiben. Es ist so zu verändern, dass das neue System beides kann:
* X UND nicht-X.
Das ist nur halb so schwer, wie es klingt. Es erfordert etwas Übung, Selbstdisziplin und vor allem guten Willen der Beteiligten ;-)
Schritte dazu:
1. wo genau treten diese gegensätzlichen Forderungen auf UND wo nicht?
2. wann genau treten sie auf UND wann nicht?3. Separationsprinzipien anwenden, nur die bereits vorhandenen Resourcen nutzen:
3a. Trenne Anforderung X und nicht-X im Raum
3b. Trenne Anforderung X und nicht-X in der Zeit
3c. Trenne Anforderung X und nicht-X aufgrund einer Bedingung
3d. Trenne Anforderung X und nicht-X zwischen System und Subsystem.Das ist so etwas wie angeleitetes Brainstorming. Interessanterweise macht es irgendwann bei einer der Möglichkeiten „click“ und dann sieht man auch, dass oder wie die anderen 3 Wege aussehen könnten.
Beispiele, zur Illustration (ich unterschlag‘ ‚mal die Analyse):
3a. das vordere Fahrwerk ist hochwertig, das hintere nicht, die Funktion ist gesichert, die Kosten gesenkt
3b. vor dem Crash verhält es sich wie ein billiges Fahrwerk, während des Crashes wie ein hochwertiges
3c. wie 3b: falls Crash, dann …
3d. das gesamte Fahrwerk besteht aus minderwertigen, billigsten Teilen UND das gesamte verhält sich wie ein teures, hochwertiges.Durchatmen …
Nichts ist unmöglich. Think, sagte schon IBM. Denk mal an.
3d wird oft auch so illustriert, es ist Ja UND Nein zugleich (krieg’s leider nicht hin: stelle Dir Y und N vor, zusammengesetzt aus N und Y):
N N Y Y
N N YY Y
N Y Y Y
N Y YYSobald man sein leistungsbegrenztes Konzept in ein leistungsfähigeres umgestaltet hat, sind wir wieder am Ausgangspunkt:
* Gestalten und Vereinfachen eines komplexen Produktes oder Prozesses.
Schöne Tage, ein erholsames und frohes Osterfest wünscht Dir und allen Lesern
Michael++ -
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