Risikoabschätzung für etwaige Ausfallteile2006-08-03T17:21:06+01:00

QM-Forum Foren Qualitätsmanagement Risikoabschätzung für etwaige Ausfallteile

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  • Q-Wolf
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    Hallo Zusammen,

    aktueller Fall bei uns:
    Funktionsprobleme aufgrund von Fremdkörpern.
    2 Teile nach 2 Stunden bei unserem Kunden ausgefallen.
    Lagerüberprüfung von 3.000 Teilen ergab 2 zusätzliche Schlechtteile.
    Da die Fremdkörper magnetisiert werden, können diese zum Ausfall führen, müssen aber nicht.
    Jetzt verlangt unser Kunde eine Risikoabschätzung für weitere Ausfälle anhand eines Weibull-Diagrammes.

    Kann mir da jemand weiterhelfen, mir fehlt hier der Glaube, dass das geht – bzw. wie könnte ich das berechnen?

    Grüssle

    Ralf

    Barbara
    Senior Moderator
    Beitragsanzahl: 2766

    Hallo Q-Wolf,

    Du kannst die Wahrscheinlichkeit dafür berechnen (und natürlich auch grafisch darstellen), dass ein Teil zu einer bestimmten Zeit ausfällt. Das geht mit der Weibull-Verteilung. (Weibull-Verteilung ist die Verteilung der Ausfälle über die Zeit.)

    Du brauchst dazu allerdings ein bisschen mehr als die Aussage „2 Teile nach 2 Stunden ausgefallen“, denn Du musst wissen, wann die anderen Teile ausfallen bzw. ob sie überhaupt ausfallen, um mit der Weibull-Verteilung etwas anfangen zu können.

    Was ich bei Dir eher sehe ist eine Aussage darüber, wie viele Schlecht-Teile geliefert werden bzw. wie wahrscheinlich es ist, dass ihr Schlecht-Teile (Teile mit Fremdkörpern) liefert.

    Da es ein seltenes Ereignis ist, ist hierfür die Poisson-Verteilung die geeignete statistische Verteilung. Die Poisson-Verteilung gibt die Anzahl Schlecht-Teile an.

    Wenn die 3000 Teile repräsentativ für Euren Fertigungsprozess sind, ergibt sich bei einer Anzahl Fehler von lambda=4 eine Ausschuss-Rate von
    a = 3/4000 = 0,1333%
    und ein 95%iger Vertrauensbereich für a von
    [0,0363% , 0,3414%]
    bzw. in Anzahl Schlecht-Teile pro 3000 Teile umgerechnet:
    [1,090 , 10,242]

    Die Formel dazu ist:
    [0,5*chi²_(2*lambda;alpha/2) ,
    0,5*chi²_(2*lambda+2;1-alpha/2) ]
    mit chi²_(g;alpha) alpha-Quantil der Chi²-Verteilung mit g Freiheitsgraden

    Das heißt: Mit 95%iger Wahrscheinlichkeit enthält eine Lieferung von 3000 Teilen zwischen 1 und 11 Schlecht-Teilen. Das entspricht ppm-Werten zwischen 363 und 3414 und einem mittleren ppm-Wert von 1334.

    Viele Grüße

    Barbara

    _____________________________________

    Fakten hören nicht auf zu existieren, wenn man sie absichtlich übersieht.
    (Aldous Huxley)

    Q-Wolf
    Mitglied
    Beitragsanzahl: 2

    Hallo Barbara,

    super, dass Du Dich so gut mit Statistik auskennst :-)), aber ich kann dem Formelkram nicht so ganz folgen.

    Wärst Du so lieb und könntest mir den kompletten Rechenweg aufzeigen??

    Ich habe noch ein paar Zusatzinfos:

    Wir liefern bei unserem Kunden das Bauteil aus einem Prozess in 3 verschiedene Produkte.
    Folgende Zahlen habe ich hier:

    1. Produkt 1:
    – ausgelieferte Menge: 104.240 Stück
    – 100 % Überprüfung mit Resultat: 23 Teile schlecht (= 221 ppm)
    2. Produkt 2:
    – ausgelieferte Menge: 86.883 Stück
    – Stichprobe geprüft: 948 Teile / 0 schlecht
    3. Produkt 3:
    – ausgelieferte Menge: 6.507 Stück
    – Stichprobe geprüft: 2.180 / 2 schlecht (=917 ppm)

    Wir sollen jetzt eine Risikoabschätzung für Produkt 2 und 3 erstellen.

    Könntest Du mir helfen??

    Grüssle

    Ralf

    Barbara
    Senior Moderator
    Beitragsanzahl: 2766

    Hallo Ralf,

    schön, dass es Dir geholfen hat. Was genau meinst Du mit „komplettem Rechenweg“? Die theoretische Herleitung des Vertrauensbereiches doch wohl nicht, oder doch?

    Ich nehme mal an, dass es Dir um die Anwendung der Formel mit dem kryptischen chi geht. Schau dazu bitte erstmal ein bisschen auf folgende Seiten:
    Chi²-Verteilung:
    http://www.bb-sbl.de/tutorial/verteilungen/beispielestetigeverteilungen.html
    Quantile:
    http://www.bb-sbl.de/tutorial/kennzahlen/quantile.html
    Allgemein:
    http://www.bb-sbl.de/tutorial/tutorial.html

    Der Vertrauensbereich lässt sich über die komische Formel berechnen. Dazu brauchst Du die Quantile der entsprechenden Chi²-Verteilung.

    Untere Grenze des Vertrauensbereichs (UGW) für die Anzahl Schlecht-Teile bei seltenen Ereignissen (selten: <1%, entspricht einer Poisson-Verteilung):

    UGW = 0,5*chi²_(2*lambda , alpha/2)

    chi²: chi²-Verteilung, hier das Quantil der chi²-Verteilung
    lambda: Anzahl Ausschuss-Teile in Stichprobe
    alpha: Irrtumswahrscheinlichkeit, d. h. 1-alpha ist das Vertrauensniveau.

    Wenn alpha z. B. gleich 5% ist, dann überdeckt der Vertrauensbereich mit 1-alpha=95%iger Wahrscheinlichkeit den echten Wert für lambda. Der echte Wert ist nicht beobachtbar, sondern nur auf der Basis der vorliegenden Messwerte schä*tzbar, weil ja eben nicht alle jemals produzierten Lager untersucht werden, sondern nur ein Teil davon (bei Dir die 3000 Teile). Und Du (bzw. Dein Kunde) möchte eine Abschä*tzung für die Ausschuss-Zahlen in der Zukunft, d. h. für Teile, die Ihr noch gar nicht produziert habt (sprich deren Ausschuss-Rate noch gar nicht bestimmt werden kann).

    Die obere Grenze des Vertrauensbereichs (OGW) berechnet sich als:

    OGW = 0,5*chi²_(2*lambda+2;1-alpha/2)

    mit den Bezeichnungen wie oben bei UGW.

    Was Du zur Berechnung brauchst, ist also das Quantil der entsprechenden ch²-Verteilung. Das kriegst Du aus jedem Statistik-Programm oder aus einem Statistik-Buch. Gerade für Einsteiger ist das Buch:
    Fahrmeier, Künstler, Pigeot, Tutz [2004]: Statistik. Der Weg zur Datenanalyse. Springer Verlag, ISBN 3-540-21232-9
    hervorragend, weil es in einfache, verständlichen Worten erklärt, welche Methoden warum wie angewendet werden. Die Tabelle für die Quantile der chi²-Verteilung findest Du ab S. 583ff.

    Es gibt wahrscheinlich auch eine Möglichkeit, die Quantile in Excel zu rechnen. Da Excel aber versucht mitzudenken ist es ziemlich umständlich, die richtige Formel einzugeben. Deshalb würd ich mich lieber auf echte Statistik-Software oder Bücher verlassen.

    Beispiele zur Berechnung von chi²-Quantilen, z. B. für UGW
    mit alpha=0,05 (=5%) und lambda=4
    ist also das folgende chi²-Quantil gesucht:
    chi²_(2*lambda , alpha/2 )
    = chi²_(2*4 , 0,05/2)
    = chi²_(8, 0,025)

    chi²-Quantil in Minitab:
    Calc > Probability Distributions > Chi-Square…
    „Inverse cumulative probability“ auswählen
    Degrees of freedom „8“ eingeben
    „Input constant“ auswählen und „0,025“ eingeben
    > OK
    Ergebnis: 2,17973

    chi²-Quantil in R:
    qchisq(0.025, 8)
    Ergebnis: 2,179731

    Damit berechnet sich UGW zu:
    0,5*chi²_(2*lambda , alpha/2)
    = 0,5*2,1797 = 1,0899

    Die untere Grenze für die Anzahl Schlecht-Teile ist also 1,0899 bzw. 1, da es eine Anzahl ist und für die UGW die nächstkleiner ganze Zahl verwendet wird. (Beim OGW wird die nächstgrößere ganze Zahl verwendet.)
    Bezogen auf die 3000 Teile ergibt sich ein UGW* für die Ausschuss-Rate von:
    UGW* = UGW/3000 = 1,0899/3000 = 0,0363% = 363 ppm

    Die Statistik-Softwarepakete Minitab und R findest Du unter folgenden Links:
    Minitab:
    http://www.minitab.com
    R:
    http://cran.r-project.org/

    Minitab ist menügesteuert (deshalb auch die vielen Klicks bis zum chi²-Quantil). Du kriegst unter dem Link eine 30-Tage Demoversion mit vollem Funktionsumfang, eben nur auf 30 Tage begrenzt. Kosten für eine Jahreslizenz: ca. 450 Euro

    R ist syntaxgesteuert, d. h. Du brauchst den richtigen Befehl, dafür ist dann der Weg sehr kurz und Du kannst die Syntax auch abspeichern und beliebig oft durchlaufen lassen, z. B. um wiederkehrende Aufgaben immer wieder zu rechnen. R ist ein OpenSource-Projekt, sprich kostenlos.

    +++

    Zu Deinen Produkten 2. und 3.:

    Bei 2. kannst Du keine Risiko-Abschä*tzung machen, wenn es kein Schlecht-Teil gibt. Eine Risiko-Abschä*tzung geht bei attributiven Merkmalen (i.O./n.i.O.) nur dann, wenn auch ein Fehler aufgetreten ist. (Bei variablen Merkmalen kannst Du das vorher berechnen.)

    3. n=2104, lambda=2, alpha=0,05
    ergibt einen 95%igen Vertrauensbereich für die Anzahl Schlecht-Teile von:
    [0,2422 , 7,2247] = [0,8]
    und für die Ausschussrate von:
    [0,0111% , 0,3314%]

    Hier die Beipiel-Syntax für R:
    „<-“ entspricht in der R-Syntax dem Gleichheitszeichen, d. h. n<-2140 bedeuttet n=2140,
    „#“ ist das Kommentarzeichen, d. h. das was danach in der Zeile steht, wird von R ignoriert
    Wenn Du R installiert hast, kannst Du diese Syntax einfach kopieren und einfügen.

    # Werte zuweisen
    # muss nicht sein, erleichtert allerdings jede neue Berechnung, weil
    # die Formeln gleich bleiben und nur die ersten Zeilen geändert werden
    n <- 2180
    lambda <- 2
    alpha <- 0.05

    #Grenzwerte für Anzahl Schlecht-Teile
    UGW <- qchisq(alpha/2,2*lambda)/2
    OGW <- qchisq(1-alpha/2,2*lambda+2)/2
    UGW
    OGW

    #Anteil Schlecht-Teile und Grenzwerte dafür
    Rate <- lambda/n*100
    UGW.Rate <- qchisq(alpha/2,2*lambda)/2/n*100
    OGW.Rate <- qchisq(1-alpha/2,2*lambda+2)/2/n*100
    Rate
    UGW.Rate
    OGW.Rate

    #ppm-Zahl und Grenzwerte dafür
    ppm <- lambda/n*1000000
    UGW.ppm <- qchisq(alpha/2,2*lambda)/2/n*1000000
    OGW.ppm <- qchisq(1-alpha/2,2*lambda+2)/2/n*1000000
    ppm
    UGW.ppm
    OGW.ppm

    Viel Spaß!

    Barbara

    _____________________________________

    Fakten hören nicht auf zu existieren, wenn man sie absichtlich übersieht.
    (Aldous Huxley)

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