Die Bedeutung des Themas Wissenstransfer ist angesichts des demographischen Wandels bereits seit geraumer Zeit nicht mehr zweifelhaft. Das altersbedingte Ausscheiden von Mitarbeitern in Unternehmen und der damit verbundene Verlust von wichtigen Erfahrungsträgern stellen die Organisationen zunehmend vor Herausforderungen und werfen Fragen auf, die zu einem steigenden Bewusstsein für die Problematik führen. Diese Entwicklung wird nun auch in der DIN EN ISO 9001:2015 aufgegriffen, die seit 2015 den professionellen Umgang mit dem Wissen der Organisation fordert. Weiterhin undurchsichtig bleibt jedoch für viele Verantwortliche der Prozess, durch den das relevante Wissen im Unternehmen gehalten werden kann.
Im heutigen Beitrag beschreibt Christian Keller von ck2, wie der Prozess des Wissenstransfers in vier Schritten im Unternehmen integriert werden kann.
Schritt 1: Identifizierung der relevanten Wissensträger
Am Anfang steht im Idealfall die Betrachtung der Belegschaft hinsichtlich der Relevanz und Notwendigkeit des Wissenstransfers. In diesem ersten Scan wird zwischen Mitarbeitern differenziert, bei denen das Thema Wissenstransfer definitiv auf die Agenda gehört und zwischen Mitarbeitern, bei denen man sagen kann, dass ihr Ausscheiden aus der Organisation unter Betrachtung des Wissensaspekts unproblematisch ist, da beispielsweise auch andere Mitarbeiter über das relevante Wissen verfügen oder bereits Regelungen zur qualifizierten Stellvertretung bestehen. Für diese Betrachtung nutzen wir in Unternehmen ein einfaches Ampelschema mit dessen Hilfe wir zwischen
- Wissensträgern, deren Wissen hochspezifisch und hochrelevant für die Organisation ist (rot),
- Wissensträgern, die über punktuell kritische Wissensaspekte verfügen, die zu transferieren sind (gelb) und
- Wissensträgern, deren Wissen eher allgemein ist und daher keinen Transfer von Wissen erforderlich macht (grün)
unterscheiden. Die Betrachtung erfolgt durch die jeweiligen Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter in einem vorstrukturierten Plan mit einigen zusätzlichen Parametern (Name, Alter, evtl. Betriebszugehörigkeit) auflisten und die Höhe des Risikos für das Unternehmen bei Wissensverlust bewerten. Damit erhält die Organisation eine Übersicht, die offenlegt, wo die Einleitung von Transferprozessen grundsätzlich sinnvoll ist und an welchen Stellen Prioritäten zu setzen sind.
Schritt 2: Darstellung des transferrelevanten Wissens
Wenn in dem ersten Scan mithilfe der Transferampel Mitarbeiter identifiziert wurden, die alleinige Träger sehr spezifischen und relevanten Wissens sind, sollte dieses kritische Wissen zunächst bestimmt werden. „Erst priorisieren, dann transferieren“ lautet dabei eine unserer Grundregeln. Aus einer Vielzahl von möglichen Vorgehensweisen für dieses Vorhaben empfehlen wir die Methode der Wissenslandkarte, die der Mitarbeiter selbst oder gemeinsam mit der Führungskraft erstellt. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Mind-Mapping Methode, eine Form des visualisierten Brainstormings wie man es auch aus anderen Kontexten kennt. Bedeutsam ist dabei jedoch eine wirksame Systematisierung dieses Brainstormings. Wir unterscheiden insgesamt sechs Kategorien, um das Wissen organisiert in dieser Landkarte darzustellen:
- Fachwissen,
- persönliches Netzwerk,
- Projektwissen,
- Arbeitsorganisation,
- Führungswissen und
- Unternehmenskultur.
Diese Kategorien bilden die Hauptäste der Mind-Map, an die sich feinere, spezifische Aspekte untergliedern. Unsere Erfahrung zeigt, dass es ungefähr 2 x 2 Stunden dauert, um diese persönliche Wissenslandkarte zu erstellen. Besonders sinnvoll und effektiv ist es dabei, den Mitarbeiter mit spezifischen Leitfragen zu den einzelnen Kategorien bei der Erstellung zu unterstützen, um sicherzustellen, dass jedes relevante Wissen (besonders auch implizites Wissen) in der Wissenslandkarte abgebildet ist.
Schritt 3: Erstellung eines Transferplans
Mithilfe der Wissenslandkarte wird das transferrelevante Wissen identifiziert. Um dieses nun strukturiert zu übergeben, wird ein Transferplan erstellt. In diesem Transferplan, unserem Maßnahmenplan für den Wissenstransfer, definieren wir
- was zu transferieren ist,
- wer der Empfänger des konkreten Wissensaspekts ist und
- wie transferiert werden soll.
Darüber hinaus werden üblicherweise noch organisatorische Aspekte festgehalten wie beispielsweise der Zeitpunkt der Übergabe oder der Aufwand, der für den Transfer vorgesehen ist. Hinsichtlich der Transfermethodik besteht eine hohe Vielfalt an Instrumenten, die in Methoden der Kommunikation, der Kodifizierung und der Organisation unterteilt und je nach Wissensaspekt unterschiedlich eingesetzt werden können.
Im Überblick beinhaltet ein klassischer Wissenstransfer-Prozess also folgende Schritte:
Wir identifizieren zunächst die Wissensträger mit Hilfe der Transferampel, erstellen im zweiten Schritt eine Wissenslandkarte, die das relevante Wissen abbildet und organisieren die Transfermaßnahmen abschließend in einem Transferplan, der gewissermaßen das Ergebnisdokument darstellt.
Schritt 4: Konzeptualisierung
Wir halten es für sinnvoll das Thema Wissenstransfer unter dem Aspekt Risikomanagement zu positionieren. Konkret geht es dabei um das Wissensverlustrisiko, das eine Organisation hat, wenn ein Wissensträger aus der Organisation ausscheidet. Nach diesem Verständnis sollte das Thema Wissenstransfer nicht nur phasenweise, sondern konstant in die Organisationsabläufe integriert werden. Es ist beispielsweise denkbar, die Methodik im Kontext des Mitarbeitergesprächs zu integrieren, indem kontinuierlich mit dem Mitarbeiter an der persönlichen Wissenslandkarte gearbeitet wird. Darüber hinaus sind Schulungen und Leitfäden für Führungskräfte zu empfehlen, um das Thema in der Organisation zu festigen.